Einblick in die Belegungung von Wohnungen bei Neubauprojekten
Vom weiß gestrichenen Metallzaun blättert der Rost, über einem Metallschild mit der Aufschrift „Eingang“ ist eine kleine, fast quadratische Maueröffnung zu sehen, aus dem sich das Ende eines Elektrokabels windet: Hier war mal eine Klingel. Die ist längst abgeschraubt worden, denn niemand braucht sie mehr. Hinter dem Zaun tut sich eine Grube auf, umrandet von stoppeligem Gras. Auf dieser Brachfläche in der Nähe zum Ortsteilzentrum von Mehlem stand früher die Botschaft des ehemaligen Jugoslawien. Das zweigeschossige Kanzleigebäude ist ebenso Vergangenheit wie der Vielvölkerstaat. Lange lag das Grundstück zwischen Mainzer Straße, Gernotstraße, Rüdigerstraße und Schlossallee ungenutzt da, bis es ein Investor aus Grafschaft erwarb. Er will 30 Millionen Euro in die Hand nehmen und auf der 5.400 Quadratmeter großen Fläche nach Angaben der Stadt drei zweigeschossige Wohngebäude hofartig entlang der Schlossallee und der Rüdigerstraße errichten. Betrachtet man allerdings die Planzeichnungen des Investors, haben die Häuser drei Obergeschosse plus Staffelgeschoss. Hinzu kommt ein Supermarkt, der den Kunden fast alle Produkte des täglichen Bedarfs anbieten soll.
Rund 80 Wohnungen sind in dem „Schlosshöfe“ genannten Projekt vorgesehen, 40 Prozent der Bruttogrundfläche sollen für den sozialen Wohnungsbau reserviert werden. Bis zu 46 geförderte Wohnungen, so die Absicht des Geldgebers, entstehen über dem Laden. Dessen Dimension ist allerdings umstritten: Bis zu 1.200 Quadratmeter sieht die mit der Stadt abgestimmte Planung vor, die örtliche Kommunalpolitik möchte nur 800 bis 1.000 Quadratmetern zustimmen.
Das könnte die Fläche für die Sozialwohnungen verkleinern. Und die passen Marcel Schmitt, dem Fraktionsvorsitzenden des Bürger Bunds Bonn, nicht hierher. Der Anteil der Empfänger von Sozialleistungen in diesem Bereich sei jetzt schon weit über dem Bonner Durchschnitt, sagte er dem General-Anzeiger. „Sozialwohnungen sollten daher vermehrt in weniger belasteten Bereichen, zum Beispiel im Stadtbezirk Beuel, entstehen.“
Solche Vorbehalte sind der Stadtverwaltung nicht neu. Sie verweist auf das mehrheitlich vom Stadtrat am 30. März 2017 beschlossene und am 10. Juli 2018 sowie am 28. Juni 2021 modifizierte Bonner Baulandmodell. Es verpflichtet die sogenannten Vorhabenträger aktuell, die im Rahmen eines gültigen Bebauungsplans, 20 oder mehr Wohneinheiten bauen wollen, 50 Prozent als geförderten Wohnungsbau vorzuhalten. Bei acht bis 19 Wohneinheiten sind es 40 Prozent. Darüber schließen Bauherren und Stadt einen Vertrag. „Das Modell“, sagt Jeannette Wagner, Abteilungsleiterin im Planungsamt, „greift in den ,Schlosshöfen‘ ebenso wie an der Kennedyallee“. Dort ist auf dem ehemaligen Postbankareal ein größeres Bauvorhaben mit 380 Wohnungen in Arbeit – und auch hier gibt es, wie in Mehlem, Proteste gegen die Anzahl der Wohneinheiten, von denen ebenfalls 40 Prozent an Mieter mit Wohnberechtigungsschein (WBS) vergeben werden müssen. Für beide Vorhaben gelten noch die geringeren Flächenanteile, die mit dem Beschluss vom 28. Juni 2021 angehoben wurden.
Das sorge doch für Ghettobildung, wenn zu viele Empfänger von Transferleistungen einziehen, ist oft zu hören. Anja Ramos, die Leiterin des Bonner Amts für Soziales und Wohnen, kontert: „Wegen der Dynamisierung der Einkommensgrenzen könnte jeder zweite Bonner Haushalt einen Wohnberechtigungsschein beantragen. Insofern erübrigt sich der Vorwurf einer Ghettobildung“. Das Land Nordrhein-Westfalen hat für einen WBS folgende Einkommensgrenzen festgelegt: für einen 1-Person-Haushalt 19.350 Euro, für einen 2-Personen-Haushalt 23.310 Euro, zusätzlich für jede weitere zum Haushalt gehörende Person 5360 Euro. Für jedes weitere Kind schiebt sich die Grenze um 700 Euro nach oben. Ramos: „Es ist schon lange nicht mehr der Fall, dass nur Empfänger von Transferleistungen einen WBS erhalten“, sondern auch viele Beschäftigte aus niedrigen Gehalts- und Lohnklassen wie Pflegekräfte, Studenten oder auch Mitarbeitende der Stadtverwaltung. Das sorge schon für eine gute Durchmischung bei den Mietern von Sozialwohnungen.
Die Erteilung eines WBS kostet laut Gebührenordnung des Landes 20 Euro, Bonn-Ausweis-Inhaber zahlen 5 Euro. Es gebe „eine Masse an Bewerbern“, berichtet Amtsleiterin Ramos. 2.000 Haushalte seien gegenwärtig bei der Stadt als wohnungssuchend vorgemerkt – eine Zahl, die seit Jahren konstant sei. 3.300 bis 3.600 Berechtigungsscheine würden jährlich ausgegeben, auch das eine Konstante. Sie werden je Haushalt erteilt, das heißt, wenn sich mehrere Personen zu einer Wohngemeinschaft zusammenschließen, bekommen sie einen WBS, könnten aber auch jeder für sich einen Schein beantragen.
Das Belegungsrecht hat die Stadt – oder der Investor, der mit der Verwaltung eine entsprechende Vereinbarung abschließen und sich dann aussuchen kann, welcher wohnberechtigte Mieter bei ihm einzieht. Auch das soll Ghettobildung verhindern.
Für Peter Kox, Mitglied der Geschäftsleitung des Mieterbunds Bonn/Rhein-Sieg/Ahr e. V., ist die vom Stadtrat beschlossene Quotenregelung „der zentrale Ansatz“, um Ghettobildung in Siedlungen vorzubeugen. Der Sozialpolitiker verweist beispielhaft auf Wohnhäuser am Frankenbad in der Bonner Nordstadt, in der durch ein geschicktes Quartiersmanagement eine gute Durchmischung von WBS-Besitzern und „normalen“ Mietern erreicht worden sei.
Dennoch sei die Quote immer noch Ausdruck einer „Verwaltung des Mangels“, denn in der Bundesstadt fehle geförderter Wohnraum. Die Ratskoalition aus Grünen, SPD, Linkspartei und Volt hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, pro Jahr 400 neue Sozialwohnungen zu bauen. Ein ehrgeiziges Vorhaben, denn Bonn ist knapp an Bauland, da werden die Planer wohl nicht um Verdichtung in Vierteln oder um mehrstöckige Häuser herumkommen.
Wie es auch gehen kann, beweisen der Mieterbund und der Haus- und Grundbesitzerverein Bad Godesberg (Haus & Grund), die gemeinsam eine Genossenschaft gegründet haben, um auf dem Gelände der ehemaligen Bad Godesberger Grundschule in der Friesdorfer Straße 55 Wohneinheiten zu errichten. Ehrenamtliche Vorsitzende sind Peter Kox und Nikolaus Decker, der Chef von Haus & Grund. Dieses Projekt könnte Vorbildcharakter haben, glaubt Kox.