Ein breites Bündnis von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Gewerkschaften und Hilfsorganisationen macht sich für Bonner Kinder und Familien in prekären Verhältnissen stark.
Ulrich Hamacher nennt es „die schnell übersehene Not“: Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, denen in Zeiten von Corona stärker geholfen wird und die trotzdem durchs Raster fallen. Zum Beispiel Kinder, die vor Corona in Betreuungseinrichtungen kostenlos ein Mittagessen bekamen. Die Stadt Bonn bietet ihnen während des Lockdowns ein Lunchpaket an. Aber viele erreicht es nicht, aus unterschiedlichen Gründen. Oder Flaschensammler und Verkäuferinnen von Obdachlosenzeitungen. Ihr Zusatzeinkommen fällt aus. Und das Leben ist teurer geworden: Zeitweise war die Hälfte der Tafeln in Deutschland geschlossen, und die meisten ehrenamtlich Engagierten gehören zur Risikogruppe der Älteren. Die Bonner Tafel ist seit dem 4. Mai wieder teilweise geöffnet. In den Geschäften haben Lebensmittelpreise angezogen. Und viele arme Familien sind in engen Wohnungen zuhause und haben kaum Geld für Computer. Lernen fällt flach. In Flüchtlingsheimen kann man kaum Sicherheitsabstände einhalten.
Vor diesem Hintergrund hat der „Runde Tisch gegen Kinder – und Familienarmut“, ein breites Bündnis von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Gewerkschaften und Hilfsorganisationen aktiviert. Es hat der Bundesstadt einen „ergänzenden kommunalen Schutzschirm“ vorgeschlagen. Damit die Hilfe die Menschen tatsächlich erreicht und nicht zu kurz greift. Hamacher moderiert den Runden Tisch.
Das Schutzschirm-Papier mit praktischen Vorschlägen hat der Runde Tisch der Stadt, den Ratsfraktionen und dem Jobcenter geschickt. „Einige Risikogruppen, wie z.B. Obdachlose und Geflüchtete, sind von den Folgen dieser Pandemie besonders und mehrfach betroffen“, heißt es im Aufruf zum Schutzschirm. Für viele, die schon länger in prekären Verhältnissen und in Armut leben müssten, wirke die Unterstützung der öffentlichen Hände „nur zu einem kleinen Teil.“
Im Rahmen des Schutzschirms sollten Schulden gestundet werden, statt überzahlte Leistungen jetzt zurückzufordern. Stadt und Jobcenter sollten Darlehen anbieten für Menschen, die jetzt in die Klemme geraten. Wer eine Wohnung gefunden hat, die teurer ist als die Unterstützungssätze der Stadt es verlangen, soll trotzdem umziehen können, ohne dass er eigenes Geld zuschießen muss, das er wahrscheinlich nicht hat. Härtefallregelungen für einen Schuldenerlass sollten angewandt werden.
Kinder und Frauen, die von Gewalt bedroht sind, sollen nach dem Vorschlag des Bündnisses einstweilen in Hotels untergebracht werden, die jetzt keine Gäste haben. Stadt und Beratungsstellen sollten Begleitungsmöglichkeiten aufbauen. Und die Stadt sollte wohlwollend prüfen, ob statt der Angebote des Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder nicht Geld auszuzahlen wäre. Das vom Bundesarbeitsministerium aufgelegte Paket umfasst Hilfe in Kindertagesstätten und Schulen, Musikunterricht, Kostenübernahmen beim Sport und in der Freizeit. Derzeit fällt das alles flach. Immerhin: Inzwischen können Eltern in Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Pakets Lebensmittelgutscheine im Wert von 40 Euro beantragen.
Ausdrücklich würdigen die Initiatoren den Einsatz der Stadt, den sie nicht kritisieren wollen. Doch die Not der Menschen, für die sie da sind, treibt sie um.
So sollte etwa die Lunchpaketlösung, die nicht funktioniere, nach einem Vorschlag des Schutzschirms durch warme Mahlzeiten ersetzt werden, auch mithilfe von Cateringfirmen: „Es scheint uns wichtig, schnell zu handeln, damit möglichst alle bedürftigen Kinder wieder ein warmes Mittagessen erhalten.“ Zum Lernen sollten Bibliotheken und Jugendzentren einschließlich Betreuung geöffnet werden, natürlich unter Sicherheitsvorkehrungen. Auch wäre es dringend nötig, dass Jugendliche Geld vom Jobcenter für Computer bekommen, um ihnen digitales Lernen überhaupt zu ermöglichen, denn ein geplanter Bundeszuschuss von 150 Euro reiche dazu nicht, sofern er jemals bei den Menschen ankomme.
Reaktionen
Unter den Ratsfraktionen haben SPD und Grüne dem Papier zugestimmt. Auch aus der FDP kamen zustimmende Voten. Die CDU hat nicht geantwortet.
Der Geschäftsführer des Jobcenters, Günter Schmidt-Klag, hat unterdessen den gestiegenen Hilfebedarf bestätigt: Die Antragstellungen auf Hilfe hätten sich verdoppelt. Der Bedarfsermittlungsdienst prüfe Anträge nicht mehr, auch im Zweifel werde zugunsten der Antragsteller entschieden. Sanktionierungsverfahren würden ausgesetzt, und auch bei den Kosten für Unterkunft und Heizung komme das Jobcenter Bedürftigen entgegen. Auch würden auslaufende Zahlungen ohne Antrag weiterbewilligt. Schmidt-Klag macht aber geltend, dass nicht das Jobcenter, sondern der Gesetzgeber und die Stadt Bonn tätig werden müssen, um etwa den Beziehern von Hartz-IV weiter entgegenzukommen.
Die Sozialdezernentin der Stadt, Carolin Krause, kann jedoch, wie sie den Initiatoren des Schutzschirms schreibt, „keine zufriedenstellende Antwort geben.“ Doch werde der Rahmen in allen Fragen der Corona-Pandemie „wohlwollend angewandt“. Die Verbände hatten geltend gemacht, dass es da im Alltag nach wie vor Probleme gebe. Die Alternativen zum Lunchpaket, so Krause, würden derzeit zwischen Bund, Land und Kommunen diskutiert. Auch im Blick auf das Programm der Ausstattung zum digitalen Lernen verwies sie auf noch offenen Regelungsbedarf, etwa, zu welchen Bedingungen die Schüler 150 Euro erhalten sollten.
Jetzt aktualisiert der Runde Tisch ein Forderungspapier gegen Kinder-, Jugend- und Familienarmut. Er hält seine Forderungen aufrecht und will die Diskussion darüber ausweiten.