Wohnungsmangel als Klimakiller

10.09.2020 von Andrea Hillebrand
Prof.Dr. Claus-C. Wiegandt

Unistudie zur Bonner Pendlersituation

Bonn leidet seit Jahren unter Pendlerströmen. Lärm, Luftverschmutzung und Feinstaub belasten die Menschen in der Stadt und mittelbar auch das Klima. Wie sehr, dazu hat das Institut für Stadt- und Regionalforschung der Universität Bonn jetzt eine Studie vorgelegt, die unter Federführung von Prof.Dr. Claus-C. Wiegandt entstanden ist. Der Mieterbund fühlt sich auch dadurch bestätigt, das Bürgerbergehren „Mehr Wohnraum im Bundesviertel“ des Bonner Bündnisses für Wohnen zu unterstützen. Professor Wiegandt beantwortete dem Mieterbund dankenswerterweise einige Fragen.

Mieterbund (MB): Herr Professor, Bonn boomt, die Zahl der Arbeitsplätze wächst stetig. Wo wohnen all die Menschen für diese Jobs?

Professor Wiegandt: Ein erheblicher Teil der Arbeitskräfte kommt mittlerweile aus dem Umland. Etwa 120.000 Menschen pendeln täglich aus der Region nach Bonn ein. Grund dafür ist auch der Wohnraummangel hier in der Stadt.

MB: Die Schaffung von neuem Wohnraum wird häufig mit Verweis auf die ökologischen Folgen, z.B. durch Flächenversiegelungen, bekämpft. Bleibt denn das Pendeln folgenlos für die Umwelt?

Professor Wiegandt: Keineswegs. Die Einpendler legen nach unseren Berechnungen, die wir gemeinsam mit dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung erstellt haben, jährlich 2.549.848 Gesamtkilometer zurück. Dadurch entstehen 60.197 Tonnen CO2 durch den motorisierten Individualverkehr und 8.314 Tonnen CO2 durch den öffentlichen Personennahverkehr – insgesamt 68.511 Tonnen CO2 pro Jahr. Der ökologische Fußabdruck jedes Einpendlers beträgt also nur für den Weg zur Arbeit 0,6 Tonnen CO2 jährlich. Damit tragen Pendler erheblich zum Klimawandel bei – häufig ohne es zu wollen.

MB: Sie sprechen damit den Wohnraummangel in der Stadt an, der viele Menschen zwingt, außerhalb zu leben. Welche Folgen hat dies Ihrer Einschätzung nach über die Umweltbelastungen hinaus?

Professor Wiegandt: Bis 2040 sagen die Prognosen für Bonn ein weiteres Wachstum der Einwohnerzahl um rund 20.000 Menschen auf fast 365.000 voraus. Und gleichzeitig fallen jährlich weitere öffentlich geförderte Wohnungen aus der Bindung, sodass für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen, aber mittlerweile auch für die Mittelschicht besondere Engpässe entstehen. Bei all den Widerständen gegen Nachverdichtung muss die Wohnungsbaupolitik also erklärt werden, muss vermittelt werden, dass das Wohlergehen der gesamten Stadt auch von weiterem Wohnungsbau abhängig ist.

MB: Das Bonner Bündnis für Wohnen fordert derzeit mit einem Bürgerbegehren für das Bundesviertel insgesamt mehr, vor allem aber mehr öffentlich geförderten Wohnungsbau. Ein guter Vorschlag?

Professor Wiegandt: Dies kann auf neuen Wegen für das Thema sensibilisieren und ist sicherlich ein interessanter Ansatz. Mit dem Mittel der Bürgerbeteiligung Wohnungsbau zu fordern und zu fördern, anstatt ihn verhindern zu wollen – das ist selten, nicht nur in Bonn.

Claus-C. Wiegandt ist Diplom-Geograph und seit 2004 Professor für Stadt- und Regionalforschung an der Universität Bonn. Zuvor war er u.a. wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung. Wiegandt lebt seit 30 Jahren im Godesberger Ortsteil Rüngsdorf.

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