Depressionen als Volkskrankheit – vernetztes Behandlungskonzept
Die ersten Tulpen gibt es schon zu kaufen. Manchmal scheint die klare Wintersonne und manchmal sind die schon Spatzen so frech, dass es einen schmunzeln lässt. Das hilft. Aber noch liegen viele dunkle Wochen vor uns – nach dem Weihnachts-Silvester-Festrausch. Wochen, die für viele Menschen eine große Belastung sind. „Ich werde davon depressiv“, oder „das macht mich total depressiv“, das sagen manche im Alltag so leichtfertig und gedankenlos dahin. Aber Depressionen sind keine kurzen Verstimmungen über ärgerliche Kleinigkeiten. Depressionen sind schwerwiegende Erkrankungen, die nicht selbst hervorgerufen sind, die nichts mit Schuld oder Unvermögen zu tun haben.
Depressionen gehören mit zu den schwierigsten Erkrankungen. Insgesamt sind 8,2 %, das heißt 5,3 Millionen, der erwachsenen Menschen in Deutschland (18 – 79 Jahre) an einer unipolaren oder einer anhaltenden Depression im Laufe eines Jahres erkrankt (Jacobi et al. 1996). Diese Zahl erhöht sich noch da, Kinder, Jugendliche und Menschen über 79 Jahren in der Studie nicht erfasst sind. Aber auch sie können an einer Depression erkranken.
Umfeld betroffen
Depressionen beeinträchtigen nicht nur den Betroffenen/Kranken selbst, sondern auch die Angehörigen, Freunde, Kollegen und andere Nahestehende. Anhaltende Stimmungsschwankungen, Antriebsstörungen und der Verlust an Interessen jeglicher Art sind die zentralen Symptome, unter denen betroffene Menschen leiden. Nicht nur in der dunklen Winterzeit. Aber wenn Licht und Wärme fehlen, kann das Leiden noch ausgeprägter sein.
Besondere Verletzlichkeit
In der Diagnostik geht man von mindestens 14 Tagen aus, an denen diese Symptome auftreten. Aus meiner Erfahrung sind die Menschen bereits wesentlich länger betroffen, bevor die Familie die Veränderungen als Krankheit wahrnimmt oder der Betroffene um medizinische Unterstützung anfragt.
Depressionen sind nicht schuldhaft verursacht oder eine Charakterschwäche.
Sie haben keine Ursache, auf die sie konkret zurückzuführen sind. Die Ursache ist letztlich noch nicht bekannt. Experten gehen aber von einer besonderen biologischen Verletzlichkeit (Vulnerabilität) aus. Es wäre wichtig zu wissen, welche Gene dafür verantwortlich sind, und wie sie beschaffen sein müssen, damit ein Mensch depressiv wird. Daran wird derzeit geforscht.
Stressoren als Auslöser
Nicht immer kommt die Krankheit zum Ausbruch. Es ist nach dem heutigen Stand der Wissenschaft davon auszugehen, dass bestimmte Stressfaktoren als Auslöser hinzukommen müssen. Sogenannte Stressoren. Das kann der Verlust eines Partners sein, aber auch drohende Arbeitslosigkeit, Existenzängste, oder ein Wohnungswechsel, der einher geht mit dem Verlust des vertrauten Umfelds. Vieles ist denkbar.
Die daraus resultierenden anhaltenden Stimmungsschwankungen, Antriebsstörungen und der Verlust an Interessen machen die Betroffenen sprachlos, hilflos, sind lähmend und erzeugen das Gefühl von Ausweglosigkeit.
Die Schwere der Erkrankung ist auch daran zu erkennen, dass Depressionen in etwa 15% der Fälle zum Tode führen. Das ist erschreckend. Hoffnung gibt die Tatsache, dass es inzwischen gute Behandlungsmöglichkeiten und viele gute Fachleute gibt, die das Leiden minimieren können. Mit dem Ergebnis, dass die Suizidrate in den vergangenen Jahren kontinuierlich sank.
Gute Aussichten
Für Menschen, die sich in einem Tief befinden, gibt es gute Behandlungskonzepte, die von Medizinern, Therapeuten oder Einrichtungen und Hilfsvereinen angeboten werden.
Und es gibt Präventionsprogramme, die auch online zu nutzen sind.
Unbehandelt kann eine depressive Episode sechs bis acht Monate andauern. Das ist eine lange Zeit für den, der sie aus- und durchhalten muss.
Sich selbst wichtig sein
Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass wir als Mitmenschen sprachfähig werden. Man sollte nicht leichtfertig, sondern achtsam und respektvoll mit von Depression betroffenen Menschen sprechen – ob in der Familie, am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis.
Mit Achtsamkeit müssen sich betroffene Menschen auch selbst begegnen. Sich selbst wichtig sein, gesund leben, sich etwas gönnen, auf Körper und eigene Empfindungen hören, sich selbst ernst nehmen – das hilft, Körper und Seele wieder zu gesunden. Letztlich ist das für alle Menschen zentral wichtig und eine effektive Prävention.
Eine möglichst gesunde Ernährung, körperliche Fitness, Familienleben, Freunde und ein generell guter, offener Kontakt mit Menschen sind wichtige Faktoren für seelische Gesundheit. Wer nicht das große Programm für sich realisieren kann, dem helfen kleine Schritte. Jede kleine positive Veränderung des eigenen Verhaltens hilft.
Licht hilft
In der dunklen Jahreszeit reagieren manche Menschen besonders sensibel. Lichtmangel kann ein Stressor, also Auslöser für Depressionen, sein. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass es wichtig ist, täglich genügend Licht ausgesetzt zu sein. Für manche Grund genug, einen Kurzurlaub in der Sonne zu machen. Sonne bzw. Licht lässt sich jedoch nicht auftanken. Deshalb ist ein regelmäßiger Winterspaziergang so wichtig. Auf die Schnelle zwischendurch reicht auch eine Tageslichtlampe mit Vollspektrum-Licht.
Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.
Konfuzius
Sozialpsychiatrisches Zentrum
Eine Kombination aus therapeutischen, medizinischen und psychoedukativen Hilfen halte ich auch für Menschen als hilfreich, die schon lange unter schweren Depressionen leiden.
Im Zusammenspiel der einzelnen Maßnahmen können sich Menschen wieder von Depressionen befreien und ein möglichst selbständiges Leben führen. In Bonn gibt es viele Angebote, die diesen Ansatz unterstützen.
Darauf arbeiten wir auch in der Sozialpsychiatrie der Bonner Caritas hin. Unser Sozialpsychiatrisches Zentrum bietet viele Möglichkeiten der therapeutischen Begleitung. In der Kontakt- und Beratungsstelle CaTz treffen sich Menschen in ähnlichen Lebenssituationen. Kochen, Reden, Essen, Kreativsein: Eine Tagesstruktur ist in depressiven Phasen besonders wichtig. Die Beratung – niederschwellig und individuell.
Bei der Bonner Caritas betreuen wir Menschen, die häufiger schwere Depressionen hatten und haben. Sie haben ihr soziales Umfeld verloren und können aufgrund ihrer Erkrankung oder Beeinträchtigungen nicht mehr arbeiten. Sie leben meist isoliert, haben wenige Kontakte. Auch der Körper reagiert – mit Schlafstörungen, hormonellen Störungen, Verdauungsproblemen, Stoffwechselerkrankungen.
Aus meiner Erfahrung habe viele Betroffene verlernt, regelmäßig für sich zu sorgen und das kann in allen Lebensbereichen deutlich werden. Die Folgen: Schlechte Ernährung, mangelnde körperliche Achtsamkeit, Antrieblosigkeit, wenig Bewegung.
Um aus diesem Teufelskreis herauszukommen, brauchen die Menschen Hilfe, Begleitung und Befähigung von außen, damit sie wieder ein selbstbestimmtes Leben führen können.
Unser größter Ruhm ist nicht, niemals zu fallen, sondern jedes Mal wieder aufzustehen.
Nelson Mandela